Übersetzt von Le Fauconnier.
English version here
Was wir gleich sagen werden, führt uns nicht weit weg vom Thema der NRH, das wir Deutschland widmen, einer Nation, die seit jeher zu Europa gehört und seine Tradition genährt hat. Der Vorwand wurde mir von Péroncel-Hugoz geboten, der während einer langen Karriere großer Reporter bei «Le Monde» war und heute Kolumnist unserer Revue ist. Er berichtet mir von einer Aussage Jean-Paul Sartres über Ernst Jünger: «Ich hasse ihn nicht als Deutschen, sondern als Aristokraten …».
Sartre hatte einige belastende Fehler. Er irrte sich mit einer seltenen Hartnäckigkeit in seinen politischen Impulsen.
Während der Besatzungszeit ziemlich feig , mutierte er, als die Gefahr vorüber war, zum denunziatorischen Ayatollah und geißelte seine Kollegen, die sich nicht mit aller gebotenen Blindheit für Stalin, Mao oder Pol-Pot einsetzten. Während er sich so mit unfehlbarer Beständigkeit verirrte, hatte er ein feines Gespür für den Geist der Höhe, der ihm zuwider war, oder umgekehrt für die Niedrigkeit, zu der bestimmte Teile auf seines Wesens abzielen. (1)
Bei Jünger hatte er sich nicht geirrt: «Ich hasse ihn, nicht als Deutschen, sondern als Aristokraten …». Aristokrat war Jünger nicht aufgrund seiner Geburt. Seine Familie gehörte zur gebildeten Bourgeoisie Norddeutschlands. War er ein “Aristokrat”, d. h., stets edel und gepflegt, sowohl moralisch als auch physisch, dann nicht, weil er mit einem «von» geboren wurde, denn dieser schützt niemals vor den Niederträchtigkeiten des Herzens und des Verhaltens. War er ein “Aristokrat”, dann war das keine Sache des Rangs, sondern der Natur.
Als heroischer Kämpfer in seiner Jugend, als aufsehenerregender Schriftsteller der «konservativen Revolution» und später als eine Art kontemplativer Weiser hatte Jünger ein außergewöhnliches Leben, in dem er alle Gefahren eines dunklen Jahrhunderts durchlebte, frei von jeglicher Befleckung. Wenn er ein Vorbild war, dann wegen seiner ständigen «Haltung». Doch seine körperliche Haltung spiegelte nur die seines Geistes wider. Haltung bedeutet auch, sich auf Distanz zu halten. Abstand von niedrigen Leidenschaften und der Niedrigkeit von Leidenschaften. Das Höhere in ihm hat ihn immer vom Schäbigen, Niederträchtigen oder Mittelmäßigen ferngehalten.
Seine Metamorphose zur Zeit der Marmorklippen mag überraschen, doch sie ist nicht niederträchtig. Später fingt sich wieder der kräuterkundige Krieger und schriebend im Traktat des Rebellen, dass die Zeit andere Mittel als die Yogaschulen erfordere. Es waren süßen Versuchungen, die er nun auf Abstand hielt.
Ich habe gerade geschrieben, dass Jünger kein gebürtiger Aristokrat war. Ich korrigiere . Er war kein Aristokrat durch seine Geburt, durch seine familiäre Herkunft. Aber er war es von Geburt an, durch eine geheimnisvolle innere Alchemie. Wie das kleine Mädchen und die Hausmeisterin in Die Eleganz des Igels (2). Und wie Martin Eden, die gleichnamige Figur in Jack Londons Roman (3). Martin Eden wurde in den Slums und in Armut geboren und war von edler Natur. Durch einen Zufall kam er in jungen Jahren mit einer feinen und gebildeten Umgebung in Berührung. Er verliebte sich sogar in ein Mädchen, das dieser Welt angehörte. Die Entdeckung der Literatur weckte in ihm die Berufung zum Schriftsteller und einen starken Willen, über sich selbst hinauszuwachsen und aus dem Nichts, aus dem er gekommen war, herauszukommen. Und das tat er auch, nach einer Reihe von maßlosen Prüfungen.
Als berühmter Schriftsteller entdeckte er gleichzeitig die Eitelkeit des Erfolgs und die Mittelmäßigkeit der jungen Bürgerlichen, die er zu lieben geglaubt hatte. Von da an brachte er sich um. Dieses Ende ist für meinen Zweck nicht von Bedeutung. Es gibt Martin Edens, die ihre Enttäuschungen überleben, und es wird sie immer geben. Es sind edle, energische und «aristokratische» Seelen. Aber damit solche Naturen sich «erklären», wie man von guten Jagdhunden sagt, und dann nach oben streben, ist der Anreiz durch Vorbilder unersetzlich. Lebende Beispiele von innerem Heldentum und echtem Adel bilden durch die Zeiten hindurch eine Art geheimes Rittertum, einen impliziten Orden, dessen Vorläufer Hektor der Trojaner war. Ernst Jünger war eine Verkörperung davon in unserer Zeit. Sartre hatte sich nicht geirrt.
Quelle: Leitartikel von der «Nouvelle Revue d’Histoire», Ausgabe 45, November- Dezember 2009. Hauptthema: «Deutschland: 1000 Jahre Geschichte».
Sie können die Originalversion hier einsehen: https://www.dominiquevenner.fr/2009/11/de- secretes-aristocraties-edito-de-la-nouvelle-revue-dhistoire-n45/
Anmerkungen
1. Bianca Lamblins Erinnerungen sind in dieser Hinsicht eindeutig. In ihren Mémoires d’une jeune fille dérangée (Balland, 1993) beschrieb sie ihre intimen Beziehungen zu Jean- Paul Sartre und Simone de Beauvoir.
2. L’élégance du hérisson (Auf deutsch «Die Eleganz des Igels»), Roman von Muriel Barbery (Gallimard, 2006, Folio). Wir berichteten darüber in Nr. 42, S. 32.
3. Jack London, Martin Eden. Dieses Jahr wird der Jahrestag der Veröffentlichung dieses Meisterwerks gefeiert, das auch als Taschenbuch erhältlich ist.
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1 comment
Er war kein Aristokrat durch seine Geburt, durch seine familiäre Herkunft. Aber er war es von Geburt an, durch eine geheimnisvolle innere Alchemie.
Solche Spielereien mit den Adelstiteln und Fragen, wer zum Adel gehörte und wer nicht, finde ich belanglos. Alle diese “von” und “de” sind längst nur Teile der Familiennamen und sagen nichts mehr. Und ja, schliesslich, “Als Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann?”
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